Hauptburgenname
Göllersdorf
ID
511
Objekt
Schloss
Adresse
Justizanstalt Göllersdorf
A-2013 Göllersdorf, Schloßgasse 17
KG
Göllersdorf
OG/MG/SG
Göllersdorf
VB
Hollabrunn
BMN34 rechts
734398
BMN34 hoch
372944
UTM 33N rechts
0
UTM 33N hoch
0
Link auf NÖ-Atlas
Lage auf Karte im NÖ-Atlas ...
Geschichte
Etwa 1120/22 erscheint Chadold v. Göllersdorf ("Chadolt de Gelanestorf") als Zeuge einer Urkunde. Er ist Angehöriger der "Chadolde", die nach weiteren Orten benannt werden, ohne dass eindeutige genealogische Beziehungen für die Frühzeit zu rekonstruieren wären. Erst ab dem 13. Jh. lassen sich zwei Linien, jene der Hrn. v. Seefeld und jene v. Feldsberg, deutlicher trennen. Mit Heinrich v. Seefeld erlischt 1268 jener Familienzweig, der bis dahin auch im Besitz von Göllersdorf war. Kg. Rudolf I. belehnt die Bgfn. v. Nürnberg mit Göllersdorf, das seit 1286 als Reichslehen gilt. In der 1. H. d. 14. Jhs. sind die Kuenringer Lehensträger von Göllersdorf, es erscheint jedoch denkbar, dass es bereits 1292, gemeinsam mit Seefeld, in die Hände der Kuenringer gelangt. 1358/59 kommt Göllersdorf, nachdem Besitzansprüche der Wallseer und Puchheimer nicht durchgesetzt werden konnten, an die Hrn. v. Maissau. Die Puchheimer beerben schließlich 1440 die Maissauer, die Belehnung der Puchheimer erfolgt 1446. Kurz danach, 1463, wird die Burg als "das neue Haus" genannt. 1710 gelangt der Besitz von der Krumbacher Linie der Puchheimer an den Reichsvizekanzler und Fürstbf. Friedrich Karl Gf. v. Schönborn. Göllersdorf wird Bestandteil der Hft. Schönborn, bleibt aber bis 1779 Brandenburger Lehen. Zuletzt verpachtet, wird das Schloss an den Staat veräußert und seit 1874 als Anhaltelager, Militärstrafanstalt, Bundeserziehungsheim und Gefangenenhaus verwendet. Heute ist der Bau im Besitz des Bundesministeriums für Justiz.
Text
G.R., T.K., K.Kü.
Lage/Baubeschreibung
Das heute als Strafvollzugsanstalt genutzte Schloss liegt am nordöstl. Ortsrand unweit des orographisch rechten Ufers des Göllersbaches. Auf der ÖK 50/Blatt 40 ist der ausgedehnte Komplex nördl. der Pfarrkirche, inmitten des großen Anstaltsgeländes deutlich erkennbar.
Die Schlossanlage, die tlw. bereits äußerlich in bemerkenswerter Form in Erscheinung tritt, präsentiert sich im Detail – leider der Öffentlichkeit vorenthalten – als architektonisches Juwel der Spätgotik sowie Früh- und Spätrenaissance. Sie gliedert sich grob gesehen in ein älteres Kernschloss und ein ehem. 4-flügeliges "Vorschloss", welches den Kernbau als südl. Bauteil integriert. Klaars Bauaufnahme bezog sich leider ausschließlich auf das seinerseits 4-flügelige Kernschloss. Dieses beschreibt im Grundriss ein nahezu ideales Quadrat von 28,95 m Seitenlänge (an der NO- und SO-Seite), dem ein urspr. durchschnittlich 10,50 m Seitenlänge messender, sekundär verkleinerter Innenhof eingeschrieben ist. Die unverbauten Außenfronten des insgesamt 4-gesch. Kernbaues, wobei das 4. Geschoß als höhenreduziertes Attikageschoß ausgebildet ist, zeigen sich ungewöhnlich nüchtern, die regelmäßige Durchfensterung entstammt überwiegend der 2. H. d. 16. Jhs. Die jüngste Restaurierung hinterließ einen ausgezeichneten baulichen Zustand, Putzfehlstellen für Einblicke in die Mauertechnik des Baues sind somit nicht vorhanden. Der kastellhafte Bering zeigt im Erdgeschoß Stärken von 2,05 m, wonach ein spätmittelalterlicher Kern, naheliegend das 1463 urk. genannte "neue Haus" in berechtigter Weise zu vermuten ist. Höhere Mauerstärken kennzeichnen – nach Klaar – den über die gesamte Front laufenden SW-Trakt und mglw. auch den die Kapelle integrierenden SO-Trakt als mittelalterlich, doch ist in den oberen Geschoßen eine wesentliche, in primärer oder verändernder Weise erfolgte Reduzierung der Mauerstärken feststellbar. Die Kapelle, ein im Erdgeschoß 8,35 x 4,80 m großer, 2-joch. Rechtecksaal, gliedert sich unmittelbar dem SW-Trakt an. Der durch die Verschwenkung des Schlosses nach SO orientierte, über 2 Ebenen reichende Raum wird durch 2 spätgot. Maßwerkfenster im südöstl. Bering belichtet und mit einem klar strukturierten Netzrippengewölbe geschlossen. Trotz der spätgot. Form zeigt das Gewölbe bereits sparsam Dekorelemente der Renaissance. Die im "westl." Drittel eingebaute Empore sitzt auf einem stark gliedernden Netzrippengewölbe, die mit einem erkerartigen Ausbau versehene Emporenbrüstung ist mit geometrischem Maßwerkdekor versehen. Die Kapelle datiert nach Dehio zu A. d. 16. Jhs. Die Erdgeschoßräume sind durchwegs stichkappengewölbt, ein Raum des Obergeschoßes ist mit einem auf Wandvorlagen ruhenden Stichkappengewölbe geschlossen, der dem 3. Geschoß angehörende Raum oberhalb der Kapelle zeigt eine bemerkenswerte Gewölbelösung mit Stichkappen und stark strukturierenden, netzartigen Stuckgraten. Die Gewölbe entstammen Bauphasen der 2. H. d. 16. Jhs.
Im kleinräumigen Hof ist eine sehr reizvolle und dichte Überlagerung einzelner Bauphasen und entsprechender Stilformen von der späten Gotik bis zur späten Renaissance zu sehen. Die starke Gliederung der SW-Front resultiert aus der Überbauung der spätgot. Treppenanlage, welche über ein kreuzrippengewölbtes Podest im 1. Obergeschoß den Zugang zur Kapellenempore vermittelte. Das in Formen der frühen Renaissance profilierte, mit Doppelwappen und Inschriftenbändern versehene Portal zur Empore ist dem 2. V. d. 16. Jhs. zuzuweisen. In der Spätrenaissance wurde die Treppe mit aufsteigenden Arkaden überbaut, als Zutritt zu den Treppen und den angrenzenden Räumen wurde in der W-Ecke des Hofes ein über alle Geschoße reichender Erschließungsbau mit Erdgeschoßlaube und entsprechenden Podesten in den Obergeschoßen errichtet. Das gotisierende Kreuzrippengewölbe der Erdgeschoßlaube datiert nach Dehio um 1600. Zur Erschließung des SO-Traktes wurde diesem ein schmaler Trakt mit entsprechenden, von den benachbarten Treppenanlagen zugänglichen Gängen vorgeblendet, die Fassade dieses Bauteiles ist abweichend von den übrigen Hoffronten durch starke Horizontalbänderungen und flache Pilaster gegliedert. Bemerkenswert ist der Formenreichtum der Hofbefensterung, der von charakteristischen, der Spätgotik verhafteten Sprossenfenstern des 2. V. d. 16. Jhs. über Rundbogenfenster mit Renaissancedekor bis zu Fensterlösungen der Zeit um 1600 reicht. Das hofseitige Rundbogenportal zur urspr. Torhalle, die das Kernschloss mit dem Hof des nordwestl. situierten Vorschlosses verband, zeigt die Verwendung spätgot. Formen innerhalb bereits übernommener Gestaltungsprinzipien der Renaissance.
Während des 2. V. d. 16. Jhs. errichteten die Puchheimer das anschließende Vorschloss, welches das kleinräumige Kernschloss sowohl bezüglich der Baumassen, als auch der repräsentativen Ausstattung beinahe in den Hintergrund drängte. Die regelmäßige Anlage bildete urspr. einen 4-Flügelbau, der mit Ausnahme der S-Ecke, wo das Kernschloss eingegliedert ist, bastionäre Eckbauten besaß. NW- und SW-Flügel sind Altbauten, die nordöstl. und südöstl. Bauteile sind durch moderne Neubauten ersetzt. Überlieferte Baudaten bzw. Inschriften belegen die Vollendung dieser Anlage zwischen 1551/55. Den Zugang vermittelt der an der W-Ecke errichtete, aus der Front des SW-Traktes springende Torbau, der seinerseits von der W-Bastion flankiert wird. Die Kanten beider Bauteile sind mit einer sorgfältigen, weit umgreifenden Eckquaderung versehen, das stark ausgezwickelte Bruchsteinmauerwerk zeigt sich ohne Ziegelzusatz. Die Toranlage besteht aus einer rundbogigen Öffnung, die mit Falz und Rollenschlitzen der ehem. Zugbrücke ausgestattet ist. Die zu erwartende Nebenpforte ist wahrscheinlich einer rezenten Fensteröffnung zum Opfer gefallen. Bastion und Torbau besitzen oberhalb des 2. Geschoßes eine Reihe abgeschlagener Kragsteine, die wohl als Auflager eines auskragenden (hölzernen?) Wehrganges zu interpretieren sind. Knapp darüber markiert ein umlaufendes Kordongesims die niedrige Geschoßebene einer jüngeren Bauphase mit größeren Schartenöffnungen für leichte Feuerwaffen. Da die Traufhöhe des wohl M. d. 16. Jhs. fertiggestellten SW-Traktes bereits auf das jüngere Wehrgeschoß des Torbaues Bezug nimmt, läge eine entsprechend frühere Errichtung der Torsituation nahe, wofür neben der "altertümlich" wirkenden Toranlage selbst auch ein rein spätgot., sekundär vermauertes Fenster mit Sohlbank in der SO-Mauer des Torbaues spräche. Die heutige Befensterung dieser Teile mit volutengestützten Verdachungen ist nach Dehio in die M. d. 16. Jhs. zu datieren. Oberhalb des Tores sitzt das Wappen der Puchheim, ein weiteres an der hofseitigen Einfahrt nennt die Jahreszahl "1551".
Der wegen seiner Ausdehnung beeindruckende SW-Trakt verbindet das Kernschloss mit dem Tor. Der 3-gesch. Trakt zeigt eine überaus repräsentative Ausstattung, die sich bereits in der Dekoration der feld- und hofseitigen Fenster äußert. Die der Bauzeit zuweisbaren Öffnungen zeigen zumeist reiche Profilierungen in Formen der frühen Renaissance, Öffnungen minderer Bedeutung, z. B. die Luken des Attikageschoßes, zeigen im Sinn einer Wertigkeit noch stark der späten Gotik verhaftete Formen. Eine im Zentrum des Traktes integrierte Wendeltreppe ist hofseitig durch eine besonders akzentuierende Gruppe von Öffnungen gekennzeichnet. Das oberste Treppenniveau wird durch ein als Maskeron gestaltetes Rundfenster belichtet, das nach Dehio bereits um 1600 datiert. Die älteren, feld- und hofseitigen Öffnungen sind mit einem rahmenden, relativ aufwändigen und tlw. restaurierten Sgraffitodekor der 2. H. d. 16. Jhs. versehen. Der einfacher gestaltete, wohl für wirtschaftliche Funktion vorgesehene NW-Trakt besitzt im Erdgeschoß relativ aufwändig gestaltete Gewölbelösungen, als betonende Eckbauten sind die Torbastion und der markante N-Turm zu sehen. Dieser im Kern aus dem 16. Jh. stammende Turm wurde um 1600 auf 5 Geschoße erhöht und in dieser Zeit mit entsprechendem Fassadendekor und einem 2-gesch. pavillonartigen Aufsatz versehen. Neben der bedingten Wehrhaftigkeit, die sich mit Stückscharten in den Obergeschoßen der Trakte und Türme äußert, ist eine z. T. reiche Ausstattung der Innenräume festzustellen. Der Raum im Hauptgeschoß des N-Turmes besitzt ein reich stuckiertes Spiegelgewölbe der Zeit um 1600, der entsprechende Raum im W-Turm, der Torbastion, ist mit einem auf einer 8-eckigen Mittelsäule ruhenden Stichkappengewölbe des 2. V. d. 16. Jhs. geschlossen, das eine bemerkenswerte Gliederung aus gefächerten und geschlungenen Stuckgraten aufweist. Im Obergeschoß des Torbaues fand eine mit Stuckfeldern strukturierte und mit Engelsköpfen geschmückte Deckenkonstruktion aus dem abgetragenen NO-Trakt einen neuen Platz. Neben dem dokumentierten Baudatum von 1551 sind auch solche von 1591 und 1611 vorhanden, spätere grundlegende Veränderungen sind offensichtlich nicht feststellbar.
Göllersdorf bildet in ungewöhnlicher, modellhafter Weise ein Beispiel der einsetzenden Renaissance, die temporär nur sehr zögerlich die gewohnten Formen der Spätgotik verdrängen konnte, mglw. auch sollte, da eine gewisse Wertigkeit bzw. ein intentioneller Einsatz div. Stilzitate nicht zu übersehen ist. Der hier entstandene, wohl nur durch kontiniuerliche Bautätigkeit erklärbare Formenreichtum, ist regional beispiellos und lässt die Position und Finanzkraft der Bauherren, der Puchheimer, erahnen. Die bauhistorische und architektonische Bedeutung des Baues ließe sich ausschließlich durch eine umfangreiche Monographie würdigen. Interessierten bietet sich nur die zum Ort gerichtete SW-Front der Anlage mit dem Torbau und das vorgeschobene, bereits am Markplatz situierte, 1703 errichtete, barocke Triumphtor zur Betrachtung.
Text
G.R., T.K., K.Kü.
Erhaltungszustand/Begehbarkeit
Als Strafvollzugsanstalt genutzt, nicht öffentlich zugänglich.
Literatur
- Georg Binder, Die Niederösterreichischen Burgen und Schlösser (2 Bde.). Wien–Leipzig 1925 II, 111
- Gerhard Reichhalter, Karin Kühtreiber, Thomas Kühtreiber (mit Beiträgen von Günter Marian, Roman Zehetmayer), Burgen Weinviertel (hg. v. Falko Daim). Wien 2005, 130 ff.
- Georg Clam-Martinic, Österreichisches Burgenlexikon. Linz ²1992, 125
- Dehio Niederösterreich, nördlich der Donau (hg. v. Bundesdenkmalamt). Wien 1990, 291 f.
- Brigitte Faßbinder, Theodor Brückler, Kunst im Bezirk Hollabrunn (hg. v. Stadtmuseum Alte Hofmühle Hollabrunn). Hollabrunn 1997, 130 ff.
- Brigitte Faßbinder, Die Kunst im Bezirk Hollabrunn. In: Ernst Bezemek, Willibald Rosner (Hg.), Vergangenheit und Gegenwart. Der Bezirk Hollabrunn und seine Gemeinden. Hollabrunn 1993, 373–415, 401 f.
- Paul A. Herold, Die Herren von Seefeld-Feldsberg. Geschichte eines (nieder-)österreichischen Adelsgeschlechtes im Mittelalter. Studien und Forschungen aus dem Niederösterreichischen Institut für Landeskunde 27, St. Pölten 2000, 31 f.
- Karl Lechner (Hg.), Handbuch der Historischen Stätten Österreich 1, Donauländer und Burgenland. Stuttgart ²1985, 271 ff.
- Manfred Jasser et al, Schlösser und Burgen im Weinviertel. Schriftenreihe Das Weinviertel 3 (hg. v. Kulturbund Weinviertel), Mistelbach 1979, 93
- Adalbert Klaar, Beiträge zu Planaufnahmen Österreichischer Burgen II. Niederösterreich 3. Teil. Mitteilungen der Kommission für Burgenforschung und Mittelalter-Archäologie 20 (=Anzeiger der phil. hist. Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 114. Jg., Sonderschrift 2), Wien 1977, 28–42, 31 f.
- Friedrich-Wilhelm Krahe, Burgen des deutschen Mittelalters, Grundrisslexikon. Würzburg 1994, 216
- Hans Kronberger, Aus der Geschichte von Göllersdorf. Göllersdorf 1976, 15 ff.
- Christina Mochty, Marktgemeinde Göllersdorf. In: Ernst Bezemek, Willibald Rosner (Hg.), Vergangenheit und Gegenwart. Der Bezirk Hollabrunn und seine Gemeinden. Hollabrunn 1993, 373–415, 535 ff.
- Maximilian Weltin (unter Mitarbeit von Dagmar Weltin, Günter Marian, Christina Mochty-Weltin), Urkunde und Geschichte. Niederösterreichs Landesgeschichte im Spiegel der Urkunden seines Landesarchivs. Die Urkunden des Niederösterreichischen Landesarchivs 1109–1314. Niederösterreichisches Urkundenbuch Vorausband. St. Pölten 2004, 351